
Die Teilnehmer des Pharmalogistik-Forums im Uhrzeigersinn): David Francas, Andreas Essinger, Moderator Bruno Lukas, Jürgen Oetzel und Andreas Gmür.
Die Corona-Krise hat viele Logistikketten massiv beeinträchtigt. Auch die Chemie- und Pharmaindustrie stand im Frühjahr 2020 plötzlich vor einer noch nie dagewesenen Herausforderung, auf die sie Antworten finden musste – und zwar so schnell wie möglich. Zu groß war die Furcht vor Lieferengpässen für Arzneimittel. Ein Jahr nach Beginn der Krise stellten sich auf dem Pharmalogistik-Forum des Chemanager auf der digitalen Transport Logistic vier Experten aus der Logistikbranche der Frage, welche negative oder sogar positive Auswirkungen Covid-19 bereits in der Chemie- bzw. der Pharmaindustrie gezeigt hat. Sie diskutierten die unterschiedlichen Aspekte, ob die Krise womöglich auch langfristig Einfluss auf die Logistik, den Transport sowie das künftige Risikomanagement der Chemie- und Pharmaindustrie haben wird.
Dr. Andreas Gmür, Partner bei Camelot Management Consultants, und David Francas, Professor für logistische Informationssysteme an der Hochschule Heilbronn, beleuchteten die Thematik in ihren Vorträgen aus wissenschaftlicher Sicht. Andreas Essinger, Director Sales & Business Development der HOYER GmbH, und Jürgen Oetzel, Geschäftsführer der GDP network solutions GmbH, berichteten von ihren Erfahrungen aus der Praxis. Moderiert wurde das Gespräch von Bruno Lukas, Logistik-Consultant und PR-Berater bei Press’n’Relations in Berlin.

Andreas Gmür meint in seinem Vortrag, dass die digitale Veränderung in der Logistik weiter geht.
Digitale Zwillinge können helfen, Risiken zu identifizieren, zu bewerten und Risikostrategien zu optimieren
Für David Francas zeigt die Krise vor allem, dass Logistik- und Supply Chain-Strategien wieder stärker auf Resilienz ausgerichtet sein werden. „Diese dürfen kein Selbstzweck sein. Stattdessen muss die Eindämmung des Risikos kosteneffizient sein und an der richtigen Stelle erfolgen. Digitale Zwillinge können helfen, Risiken zu identifizieren, zu bewerten und Risikostrategien zu optimieren“, sagte Francas. Der Professor für logistische Informationssysteme forscht an der Hochschule Heilbronn mithilfe von digitalen Zwillingen – computergestützte Modelle einer Lieferkette – an der Optimierung von Supply Chains. „Digitale Zwillinge zeigen uns sehr gut, dass eine Störung der sekundären Produktion schnell zu Versorgungsengpässen führt. Als mögliche Gegenmaßnahme lässt sich beispielsweise simulieren, welchen Nutzen die Einrichtung von Reservekapazität bei einem Kontraktfertiger bringt“, erklärt Francas.
Zukünftig ist entscheidend, die Komplexität zu reduzieren sowie die Flexibilität und Widerstandsfähigkeit der globalen Produktions- und Distributionsstruktur zu erhöhen
Andreas Gmür war in seinem Vortrag „Supply Chain Transparenz – Wie taktische und operative Supply Chain-Aspekte näher zusammenwachsen“ überzeugt davon, dass die digitalen Veränderungen in der Logistik weitergehen und durch die Corona-Krise sogar noch eine Beschleunigung erfahren. „Die Pandemie hat gezeigt, wie sehr die globalisierte Welt von der Versorgung insbesondere aus China abhängt und wie verwundbar die pharmazeutischen Lieferketten noch sind. Der Stillstand der pharmazeutischen Produktion in Verbindung mit der Nichtverfügbarkeit von Transportkapazitäten hat nicht nur zu großen Unterbrechungen bei medizinischen Gütern, sondern auch bei Basismedikamenten geführt“, sagt der Logistik-Consultant. In Zukunft werde es entscheidend sein, die Komplexität zu reduzieren sowie die Flexibilität und Widerstandsfähigkeit der globalen Produktions- und Distributionsstruktur zu erhöhen.

David Francas ist der Ansicht, dass Logistik- und Supply Chain Strategien stärker auf Resilienz ausgerichtet sein werden.
Die Hoyer GmbH hat schon früh damit begonnen, verstärkt zusätzliche Fahrer auszubilden und zu schulen sowie Bereitschaftsdienste für Regionen mit hoher Inzident zu etablieren. Aus der Praxis berichtete Andreas Essinger, Sales Director bei der Hoyer GmbH. Der internationale Logistikdienstleister transportiert in Tankcontainern Flüssigprodukte wie Ethanol, Öl und Gas sowie Sauerstoff für Krankenhäuser in speziellen Isotankcontainern. Dabei ist Hoyer auch auf den Relationen von und nach Asien im Einsatz. Neben der Pandemie musste der Logistikspezialist in den vergangenen Monaten auch Krisen wie die Suez Kanal-Blockade und die Winterstürme im Golf von Mexiko bewältigen. „Auf den Relationen nach Asien sind wir häufig über die Seidenstraße auf Schienentransporte und aufgrund der Engpässe auf Ersatzlieferungen aus Europa ausgewichen“, erklärt Essinger. Neben agilen Task Forces im Unternehmen nahmen vor allem Track&Trace-Funktionen an Bedeutung zu. Zudem verstärkte Hoyer die ohnehin schon sehr enge Abstimmung mit den Kunden. Bei der Versorgung der Krankenhäuser mit Sauerstoff hat Hoyer schon früh damit begonnen, verstärkt zusätzliche Fahrer auszubilden und zu schulen sowie Bereitschaftsdienste für Regionen mit hoher Inzidenz zu etablieren.
Pharmalogistik: Die GDP konformen Transporte garantieren die Einhaltung der Temperatur und den sicheren Übergang an den Schnittstellen
Die Pharmalogistik hat in der Pandemie einen regelrechten Boom erfahren. Jürgen Oetzel ist Geschäftsführer der GDP network solutions GmbH, einem Zusammenschluss mittelständischer Pharmaspeditionen. Über ein Partnerunternehmen ist das Netzwerk an der Distribution des Impfstoffes in Deutschland beteiligt. Nach Oetzels Ansicht funktioniert die Verteilung des Impfstoffs und der Spritzen an Ärzte und Impfzentren sehr gut. „Die GDP-konformen Transporte garantieren uns die Einhaltung der Temperatur und den sicheren Übergang an den Schnittstellen der Lieferkette“, sagt Oetzel. Einig waren sich die Podiumsteilnehmer darüber, dass die Pandemie gezeigt hat, zu welchen Leistungen die Logistik fähig ist und welchen Kraftakt sie in den vergangenen Monaten gemeistert hat. „Wir können auch viele positive Aspekte wie beispielsweise ein agiles und pragmatisches Handeln aus der Krise ziehen. Wenn es uns gelingt, die verfügbaren Daten und die Technik optimal zusammenbringen, gehen wir gestärkt aus der Krise hervor“, sagte Moderator Bruno Lukas abschließend.
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